Return to Jogging nach VKB-Transplantat
top of page

Return to Jogging nach VKB-Transplantat

Ein Beitrag der Fachgruppe Muskuloskelletal des Physiozentrums.


Time-based vs. Criteria-based

Der Wiedereinstieg ins Lauftraining („Return to Jogging“, RTJ) markiert aus physiotherapeutischer Sicht einen entscheidenden Übergang innerhalb der Rehabilitationskette nach einer Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes (VKB). Das Joggen stellt die erste wiederholte, zyklische Belastung mit moderaten Stosskräften dar, die das rekonstruierte Band, die Gelenkstrukturen und das neuromuskuläre System fordern. Der Zeitpunkt und die Kriterien für den RTJ müssen daher sorgfältig gewählt werden, um eine sichere Progression zu gewährleisten und das Risiko einer Reverletzung zu minimieren (Adams et al., 2012).


ree

1. Zeitbasierte Ansätze – Orientierung, aber kein Entscheidungsinstrument

Traditionell erfolgte die Freigabe zum Jogging anhand zeitbasierter Rehabilitationsprotokolle, meist nach 12 bis 16 Wochen postoperativ. Diese Zeitspanne stützt sich auf biologische Heilungsprozesse – insbesondere die Einheilung und Reorganisation („Ligamentization“) des Transplantats in den Knochenkanälen (Claes et al., 2011).Aus physiotherapeutischer Sicht kann dieser Zeitrahmen als grobe Orientierung dienen. Allerdings zeigt sich in der täglichen Praxis, dass der biologische Heilungsverlauf und die funktionelle Belastbarkeit zwischen Patientinnen und Patienten stark variieren. Ein pauschaler RTJ nach festem Zeitplan ignoriert Unterschiede in Muskelkraft, neuromuskulärer Kontrolle, Schmerzfreiheit oder Gelenkreaktion. Studien weisen darauf hin, dass ein zu früher Einstieg das Risiko von persistierenden Schwellungen, Überlastungssymptomen und sekundären Bandläsionen erhöht (Ebert et al., 2018).


2. Aktivitätsbasierte Ansätze – klinische Entscheidungsfindung nach funktionellen Meilensteinen

In der modernen Physiotherapie haben sich daher aktivitätsbasierte Rehabilitationsmodelle etabliert. Hier steht nicht die postoperativ verstrichene Zeit, sondern das Erreichen spezifischer funktioneller Meilensteine im Vordergrund. Diese Milestones ermöglichen eine individuelle, leistungsgerechte und evidenzbasierte Entscheidung über den Zeitpunkt des Joggingbeginns (Grindem et al., 2016; Dingenen & Gokeler, 2017).


Ein RTJ sollte erst erfolgen, wenn folgende klinische und funktionelle Kriterien erfüllt sind:

  • Schmerzfreiheit und keine Schwellung oder Gelenkergüsse – als Indikator für eine adäquate Belastungstoleranz

  • Volle Beweglichkeit des Kniegelenks (Extension 0°, Flexion mindestens 125°)

  • Quadrizepskraft ≥ 80 % der Gegenseite, vorzugsweise isokinetisch gemessen

  • Stabile Beinachsenkontrolle in funktionellen Tests (Single-Leg-Squat, Step-Down-Test) ohne Valgusabweichung

  • Gleichgewicht und Propriozeption: Y-Balance- oder Star-Excursion-Balance-Test ≥ 90 % Symmetrie

  • Sichere Sprung- und Landekontrolle

  • Psychologische Bereitschaft und Selbstvertrauen im Bewegungsverhalten, erfasst z. B. über den ACL-RSI-Fragebogen (≥ 60 Punkte)


Diese Kriterien unterstützen die klinische Entscheidung, wann das rekonstruierte Knie funktionell in der Lage ist, wiederkehrende Stossbelastungen aufzunehmen. Der RTJ wird dadurch leistungsabhängig statt zeitabhängig gesteuert – ein Paradigmenwechsel, der die Patientensicherheit erhöht.


3. Risiken eines zu frühen Einstiegs

Aus physiotherapeutischer Sicht ist der häufigste Fehler ein zu früher Beginn der Laufbelastung. Zwischen der 6. und 12. postoperativen Woche befindet sich das Transplantat in einer Phase der Reorganisation, die mit einer reduzierten mechanischen Belastbarkeit einhergeht – die Festigkeit kann in dieser Zeit auf bis zu 40 % des ursprünglichen Wertes absinken (Claes et al., 2011).Parallel besteht meist noch ein Kraftdefizit der Oberschenkelmuskulatur von 20–40 %, was zu asymmetrischen Bewegungsmustern und Fehlbelastungen führt (Ebert et al., 2018). Ein zu früher RTJ kann dadurch zu kompensatorischen Strategien führen, die langfristig das Risiko für Meniskus- oder Knorpelschäden erhöhen.


4. Fazit – klinisch gesteuerte und evidenzbasierte Progression

Die physiotherapeutische Praxis sollte sich heute an einem hybriden Rehabilitationsmodell orientieren: Zeitbasierte Richtwerte dienen der Orientierung, die finale Entscheidung über den RTJ wird jedoch anhand objektiver funktioneller und klinischer Kriterien getroffen. Dieses Vorgehen ermöglicht eine individuell angepasste, sichere und effektive Progression.Ein evidenzbasiertes, aktivitätsbasiertes Vorgehen schützt das Transplantat, fördert das Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die eigene Belastbarkeit und führt langfristig zu besseren funktionellen Ergebnissen sowie geringeren Re-Ruptur-Raten (Grindem et al., 2016). Damit wird der RTJ zu einem qualitätsgesicherten, klinisch gesteuerten Prozess, der das Fundament für den späteren Return to Sport legt.



Literatur

  • Adams, D. et al. (2012). Current Concepts for Anterior Cruciate Ligament Reconstruction: Rehabilitation and Return to Sport. Sports Health, 4(6), 409–414.

  • Claes, S. et al. (2011). The "Ligamentization" Process in Anterior Cruciate Ligament Reconstruction: What Happens to the Graft? Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy, 19(3), 398–404.

  • Ebert, J. et al. (2018). A Systematic Review of Rehabilitation Programs Following Anterior Cruciate Ligament Reconstruction. Knee Surgery, Sports Traumatology, Arthroscopy, 26(4), 1059–1073.

  • Grindem, H. et al. (2016). Criteria-Based Return to Sport After ACL Reconstruction: A Systematic Review. British Journal of Sports Medicine, 50(9), 513–520.

  • Dingenen, B., & Gokeler, A. (2017). Optimization of the Return-to-Sport Paradigm After ACL Reconstruction: A Critical Step Back to Move Forward. Sports Medicine, 47(8), 1487–1500.

bottom of page